Unter die Haut
Er hat gerade seinen Vater verloren. Ich sitze bei ihm und seiner Frau zum Trauerbesuch. Zuerst muss er einmal seinen Frust, sogar seinen Zorn loswerden, als es um die Umstände des Todes seines Vaters geht. Doch dann kommen wir intensiv ins Gespräch.
Allerdings beschäftigt mich mehr und mehr eine rätselhafte Entdeckung: Der Sohn hat am Oberarm ein Tattoo, das immer wieder unter dem Hemd sichtbar wird. Es sind drei Großbuchstaben: R und I und P. Das kenne ich von vielen Grabsteinen: es heißt ‚Requiescat in Pace‘ – er oder sie möge ruhen in Frieden.
Und ich frage mich während des Gespräches, wie das denn kommt, dass er, im Grunde ziemlich auffällig, ein solches Zeichen hat einbrennen lassen.
Nach einer Stunde, als ich schon aufbrechen will, traue ich mich dann doch zu fragen: dürfte ich wissen, wie es zu diesem Tattoo kommt?
Als er zögert, sage ich schnell: „Nein, ich möchte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten…“ – doch er meint: „Na gut, ich kann es Ihnen ruhig sagen: ich hatte vor meinem Sohn noch einen ersten Sohn, der nur ganz kurz gelebt hat.“
„Und dann haben Sie sich die Erinnerung für immer auf die Haut geschrieben?“ „Ja“, sagt er.
Er wird diesen kleinen Toten niemals vergessen. Was ihm so sehr unter die Haut ging, das bleibt auf seiner Haut.
Mit größtem Respekt danke ich für seine Offenheit. Er hat nicht nur seinen Schmerz verewigt, sondern genauso seine Liebe.
Den Zwischenruf als Podcast zum Nachhören finden Sie auf dieser Seite des Saarländischen Rundfunks