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SR 1 / 2 / 3 - Zwischenrufe - Mittwoch, 3. März 2021

Hinter die Fassade schauen

Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Oft muss man hinter die Fassaden schauen.

 

Eine Mutter von zwölf Kindern ist gestorben. Ich besuche die Familie und alle zwölf Kinder samt Schwiegertöchtern und –söhnen und manche Enkelkinder sind da – es war lange vor Corona. Wir sitzen an einer langen Tafel aus zwei Tapeziertischen und es gibt Kuchen. Die Familie tauscht sich aus. Ich höre zu. Kein Wort über die Mama. Irgendwie merkwürdig. Und als ich dann mal nach der Mama frage, sagt die älteste Tochter: „Die Mama war immer für uns da! Wollen Sie sonst noch etwas wissen?“ Klar, will ich das, aber an diesem Nachmittag ist da nichts zu machen. Etwas irritiert verlasse ich das Trauerhaus und weiß nicht wirklich, was das gerade war. Die Nachbarn vom Gartenzaun gegenüber winken mir zu. „Gell“ – sagen sie – „die haben Ihnen nichts erzählt.“ Donnerwetter, denke ich, Volltreffer. „Sie müssen wissen, die Mama hat ihre Kinder immer im Dreierpack bekommen. Drei vorm Krieg, drei zu Beginn, drei am Ende bzw. kurz nach dem Krieg und drei eine gute Zeit später, als die Not vorüber war.“ Schnell leuchtet mir ein, dass alle zwölf Kinder quasi jeweils eine andere Mutter erlebt haben – von sehr streng bis liebevoll – den Umständen der Zeit geschuldet. Im Kopf ist den Kindern das klar, im Herzen auch, alle lieben ihre Mutter, aber jedes der Kinder hätte mir eine andere Mama vorgestellt, da schweigen sie lieber. Es war lehrreich für mich und ich habe eine wunderbare Mama beerdigt. Wie gut, dass ich hinter die Fassade schauen durfte.

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