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SR 2 Lebenszeichen - Samstag, 6. November 2021

Wahlen

Nie wieder eine Wahl versäumen – denn das ist ein echtes Privileg: bei den großen Wahlen wie die zum Bundes- und Landtag, aber auch im vermeintlich Kleinen, wenn in den katholischen Kirchengemeinden im Bistum Trier an diesem Wochenende die Pfarrgemeinderäte gewählt werden. Michael Kinnen von der Katholischen Kirche erinnert im „Lebenszeichen“ an für ihn prägende Worte von Bundespräsident Joachim Gauck.

Als Joachim Gauck gerade zum Bundespräsidenten gewählt war, am 18. März 2012, da ist er vor die Bundesversammlung getreten und hat eine beeindruckende Dankesrede gehalten. Er erzählte eine Begebenheit aus seinem Leben: „Es war der 18. März, heute vor genau 22 Jahren, und wir hatten gewählt. Wir, das waren Millionen Ostdeutsche, die nach 56-jähriger Herrschaft von Diktatoren endlich Bürger sein durften. Zum ersten Mal in meinem Leben“, so sagte Bundespräsident Gauck damals, „durfte ich in freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmen, wer künftig regieren solle. (...) Nie werde ich diese Wahl vergessen. (...) In jenem Moment war da neben der Freude ein sicheres Wissen in mir: Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen. Ich hatte einfach zu lange auf das Glück der Mitwirkung warten müssen, als dass ich die Ohnmacht der Untertanen je vergessen könnte.“ Mich hat die Rede von Joachim Gauck sehr beeindruckt. Nicht nur seine Lebensgeschichte, sondern auch seine Art, davon zu erzählen. Und auch wenn ich eine ganz andere Generation bin, eine ganz andere Biografie habe als er; die Sätze haben sich mir ins Bewusstsein geprägt: „Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen. Ich hatte einfach zu lange auf das Glück der Mitwirkung warten müssen, als dass ich die Ohnmacht der Untertanen je vergessen könnte.“ Wann immer es geht, halte ich mich daran, gehe gerne wählen, wissend um das Privileg, frei wählen zu können, was und wen ich für richtig halte. Geheim und nach bestem Gewissen und in der Hoffnung, dass diejenigen, die ich da wähle, auch etwas Gutes bewirken können. Wählen dürfen - in diesem besonderen Wahljahr mit der Bundestagswahl, an dem in meinem Ort auch noch der Bürgermeister neu gewählt wurde. Im kommenden Jahr steht die Landtagswahl im Saarland an. Und auch an diesem Wochenende schon ist im Saarland eine Wahl. Haben Sie gar nicht bemerkt? In vielen katholischen Gemeinden, die zum Bistum Trier gehören, werden die Gremien neu gewählt. Das, was klassisch Pfarrgemeinderat heißt. Es gibt jetzt auch Kirchengemeinderäte, die sich um Finanzen und seelsorgliche Fragen zusammen kümmern – und die Pfarreienräte direkt, die die größeren Räume im Blick haben und sich in der Pfarreiengemeinschaft als gemeinsame Vertretung engagieren wollen. Wählen dürfen da fast eine Million Menschen im ganzen Bistum Trier. Nun sind Pfarrgemeinderatswahlen bei weitem nicht so bekannt und genutzt wie Bundes- oder Landtagswahlen. Die Wahlbeteiligung ist leider sehr gering, auch wenn schon alle Katholikinnen und Katholiken ab 16 Jahren wählen dürfen. Seit Wochen rühren die Verantwortlichen vom Bistum und in den Gemeinden die Werbetrommel, suchen Kandidatinnen und Kandidaten, laden zur Wahl ein und informieren online und vor Ort darüber, welche Rechte zur Mitwirkung und Mitbestimmung es gibt. Es wird zunehmend schwer, ehrenamtlich Engagierte zu finden, die bereit sind zu kandidieren. Gefühlt stoßen viele immer wieder an Grenzen: Weil's in der Kirche schwer ist, wirklich Mitbestimmung zu erreichen, weil die kirchliche Großwetterlage auch immer wieder schwierig ist. Da haben viele resigniert: als Kandidatinnen und Kandidaten und als Wählerinnen und Wähler. Was bringt's? Aber es gibt auch die gute Nachricht, dass dennoch und erst Recht mehrere tausend Kandidatinnen und Kandidaten bistumsweit zur Wahl stehen, weil ihnen Glaube und Kirche nicht egal sind und sie mitwirken, mitbestimmen und mitgestalten wollen. Davor habe ich Respekt und denke wieder an den Satz von Joachim Gauck: „Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen. Ich hatte einfach zu lange auf das Glück der Mitwirkung warten müssen, als dass ich die Ohnmacht der Untertanen je vergessen könnte.“ Deshalb gehe ich wählen; nicht als Untertan, sondern als Bürger und Mitbestimmer, auch in der Kirche.

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