Lebenszeichen - Wolfgang Drießen:Aufblick

„Ach du lieber Himmel!“ Mit diesem Stoßseufzer ist meistens noch eine ganz bestimmte Geste verbunden. Man verdreht die Augen nach oben, schaut auch oft nach oben in genau den Himmel, den man da gerade angerufen hat. Was für den einen nur eine alte Floskel sein mag, ist für andere durchaus ernst gemeint. Mit dem Blick nach oben verbinden sie eine Hoffnung. Und aus dem Stoßseufzer wird ein Gebet. Gerichtet an einen Gott, der seit Urzeiten oben im Himmel vermutet wird, einem Ort, der so weit weg und unbeschreiblich ist, dass man nur in Bildern davon erzählen kann. Aber es gibt Orte, da scheint man diesem Himmel irgendwie näher zu kommen.
Ein Beispiel: Am Ortsrand von Püttlingen im Saarland liegt eine alte Wallfahrtsstätte – die Kreuzkapelle. Vor einiger Zeit habe ich dort mal eine Zeit lang gesessen und den Ort auf mich wirken lassen. Seit vielen hundert Jahren kommen die Menschen hierhin. Weil sie spüren, dass gerade hier der richtige Ort für ihre Gebete ist. Es ist ein uraltes Phänomen: aus welchem Grund auch immer, es gibt Orte, da sind die Menschen überzeugt: “Hier bin ich dem Himmel und Gott besonders nah. Hier kann ich mit ihm reden. Und vielleicht kann ich ihn hier auch hören.“
Und wenn diese Menschen Christen sind, dann bauen sie eine Kapelle oder stellen ein Kreuz auf.
In Püttlingen steht beides. Die Kapelle und davor das Kreuz. Es hing ursprünglich in der Kirche des Klosters, das nicht weit von der Kapelle gelegen ist. Es hing über dem Altar. Aber rund 30 Zentner Gewicht waren für die Statik der Kirche zu viel. Und bevor da was passiert, hat man das Kreuz des Künstlers Franz Griesenbrock dann ins Freie gestellt. Vor einigen Jahren hat man es zum 60-jährigen Jubiläum des Klosters liebevoll restauriert.
Dann ist noch ein weiteres Schwergewicht dazu gekommen. Ein Altar aus Stahlplatten. 2006 beim Katholikentag in Saarbrücken war er der Mittelpunkt des Abschlussgottesdienstes im Saarbrücker Ludwigsparkstadion.
Kreuz und Altar an dieser alten Wallfahrtskapelle haben Gewicht. Das Kreuz wiegt so schwer, dass sogar die Kirche nebenan daran fast in die Knie gegangen wäre. Ich finde, das ist ein schönes Bild, ein Symbol für das Leben. Viele Menschen fühlen sich nämlich genau so: das Leben mit all seinen Sorgen und Problemen belastet sie so stark, dass es kaum auszuhalten ist. Der Alltag zwingt einen manchmal buchstäblich in die Knie. „Es ist ein Kreuz“, sagt man da schon mal. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Mir hat vor kurzem einer gesagt, er komme sich vor wie in einem Labyrinth. Er läuft und läuft und hinter jeder Ecke geht es wieder genauso weiter. Wo führt das eigentlich hin? Ich habe da auch keine Antwort, aber vielleicht eine Perspektive:
Jedes Labyrinth ist oben offen. Wenn man den Ausweg nicht sieht, bleibt der Aufblick nach oben in den Himmel. Ein Aufblick der vielleicht neue Orientierung geben kann.
Für mich ist so ein Platz, an dem sich Menschen um Kreuz und Altar versammeln können, ein „Aufblicksort“, ein echtes „Lebenszeichen“, gerade in schwierigen Zeiten. Ich selbst merke bei mir, dass ich ruhiger werde und ein wenig gelassener den Ort wieder verlasse. Denn da spüre ich, dass da über mir noch jemand ist, in dessen Hand ich mich fallen lassen kann. Anders kann ich es nicht beschreiben. Und wer meint, dass er damit nichts anfangen kann, der könnte es ja mal versuchen. Es ist gut, dass die Püttlinger diesen Ort hier geschaffen haben. Damit die, die gerade den Kopf hängen lassen, vielleicht mal wieder aufblicken können.