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Lebenszeichen - Michael Kinnen:Nikolaus - radikal traditionell

Wie ein wortwörtlich „radikal-traditioneller“ Blick auf den Hl. Nikolaus ein bisschen Weihnachtsstimmung bringen kann, überlegt Michael Kinnen im „Lebenszeichen“.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade beginnen zu wachsen
Datum:
6. Dez. 2025
Von:
Michael Kinnen

„Früher war mehr Lametta!“ - Der schon sprichwörtliche Satz von Loriot in seinem Sketch zu Weihnachten erinnert scherzhaft daran, dass es seit vielen Jahren mehr oder weniger gute Tradition ist, vergangenen Zeiten nachzutrauern; dem, was früher angeblich besser war: Weihnachtsmärkte zum Beispiel. In den vergangenen Wochen wurde diskutiert, dass die ja immer teurer würden; und deshalb reihenweise sogar abgesagt worden seien. Doch das stimmt so nicht. Das mit der massenweise Absage ist Fake-News. Fun-Fact: Es gibt in einer aktuellen Liste mindestens 150 Advents-, Weihnachts- und Nikolausmärkte alleine im Saarland. Ohne Garantie auf Vollständigkeit. Da geht also was - von Mitte November bis zum Jahresende.
Und dennoch gab es leider auch ein populistisches Raunen. Von wegen Stadtbild und so. Da war die vorweihnachtliche Stimmung schnell dahin. Schade. Besonders schade finde ich, wenn das mit der Tradition so selektiv genutzt wird. Was ist denn Tradition? Das, was in der nostalgischen Erinnerung geblieben ist; das, was es gefühlt „schon immer“ gab? Oder das, wie es ganz am Anfang mal gedacht war? 
Um es mal konkret zu machen: Heute ist Nikolaus. Der Gedenktag des beliebten Heiligen, um den sich manche Legenden ranken - als kinderfreundlicher Wohltäter, als sozial Engagierter, als Guter Mann. Ein „Gut-Mensch“ im eigentlichen Sinn des Wortes. Manche Märkte sind ja auch in der Vorweihnachtszeit als Nikolausmärkte nach ihm benannt. Und wir alle haben so ein ganz persönliches Bild von ihm. Ob als Gaben-Bringer in die geputzten Stiefel oder als netter Gastauftritt bei der Adventsfeier des Vereins im Dorf oder eben beim Adventsmarkt. Nikolaus ist beliebt bei Jung und Alt. Das Bild von ihm ist zusammengesetzt aus manchen historischen Fakten, schönen Legenden und kommerziell überformten Klischees. Stichwort Weihnachtsmann. Das was vom historischen Nikolaus bekannt ist, ist, dass er wohl im vierten Jahrhundert gelebt hat und ziemlich radikal war. In seinen Ansichten unbeirrbar, handfest und überzeugt. In einem theologischen Streit soll er sogar mal ganz handgreiflich zugelangt haben - schlagkräftig eben. Das macht ihn aber nicht zum Vorbild. Beliebter ist sein Einsatz für sozial Benachteiligte. Einer Legende nach soll er sich für junge Frauen eingesetzt haben, um sie vor der Prostitution und dem Nachstellen von einheimischen Männern zu bewahren. 
Nikolaus hat übrigens auch einen Migrationshintergrund. Geboren in Kleinasien im griechisch-sprachigen Teil des römischen Reiches, also in der heutigen Türkei, liegt sein Grab im süditalienischen Bari. Und viele Nationen haben ihn sozusagen eingemeindet mit ihren Brauchtümern: vom Sinterklaas in den Niederlanden über das russische Väterchen Frost bis zum Santa Claus im amerikanischen Kommerz-Style. 
Was ich damit sagen will: Wenn das „Früher war mehr Lametta“ mal wieder allzu nostalgisch-verklärt wird, dann kann ein Blick auf den heiligen Nikolaus und wofür er steht, wirklich tröstlich sein: Ein wirklicher „Gutmensch“, zudem selbst mit Migrationshintergrund; einer, der an die sozialen Ränder ging, um zu helfen statt zu verurteilen; der Grenzen öffnete; einer, der sich sexistischen Männern ebenso entgegenstellte wie religiös Abirrenden; einer, der seit vielen Jahrhunderten als Vorbild gesehen wird, in allen Veränderungen der Zeit und über Kulturgrenzen hinweg; einer, der auch im Wortsinn radikal war. Radikal kommt ja vom lateinischen Wort „radix“ - die Wurzel. Also an die Wurzeln gehen, an die Quellen, an das, was Halt und Standfestigkeit gibt. Nicht eine nebulöse Tradition in nostalgischer Verklärung. Sich an das erinnern, was Nikolaus wirklich war, nicht nur Namensgeber der Märkte sondern vor allem Bote der Weihnachtsfreude: Das bewahrt vor Populismus und schlechter Laune. Das wäre ja mal was - so ein radikal-traditioneller Nikolaustag. Mit oder ohne Lametta.