Lebenszeichen - Marliese Klees:Wohnen im Alter

In den späten 60er Jahren war ‚Häuser besetzen‘ in den Städten für Studenten nichts ungewöhnliches, eher ein Zeichen der Rebellion gegen das Establishment und für eine neue Gesellschaftsordnung. Vor drei Wochen nun zeigten Bernadette, Regina und Rita, dass eine solche Rebellion auch was für ältere Damen ist. Erst recht für ältere Ordensfrauen. Wie es zu der Hausbesetzung kam?
Nun, vor einigen Jahren hatten sie gemeinsam mit den anderen Schwestern ihr Kloster an ein anderes verkauft und sich lediglich das Wohnrecht auf Lebenszeit in ihrem Haus zugesichert. Diese Vertragsbedingung sollte mindestens so lange gelten, wie sie das Leben dort gesundheitlich bewältigen könnten. Als nun die Schwestern zwischendrin mal kurz ins Krankenhaus mussten, da passierte, was sie sich nicht hatten vorstellen können: statt zurück in ihr Zuhause, wurden sie in ein modernes Altersheim gebracht. Bis vor drei Wochen. Da setzten sie ihren persönlichen Plan um: sie packten still und heimlich ihre wichtigsten Habseligkeiten, organisierten einen Schlüsseldienst und zogen wieder in ihr Kloster ein.
Einige Leute, denen ihre Flucht nach Hause imponierte, unterstützen sie und so können sie im Moment dort auch gut leben. Denn möglicherweise haben die alten Schwestern recht und die gut vorbereitete Rückkehr in ihr Kloster ist der beste Schritt, den sie machen können. Auf jeden Fall können sie nun ihre alten Tage dort verbringen, wo sie über 60 Jahre gelebt haben.
Doch gibt es einige, denen das missfällt, z.B. der Leiter des Männerklosters in der Nachbarschaft, der ihr altes Kloster übernommen hat. Der findet nicht nur harsche Worte, sondern auch, dass die drei in einem Pflegeheim besser aufgehoben wären, schließlich sind sie 81, 86 und 88 Jahre alt und wer weiß, was da noch alles auf die Frauen zukommt. Möglicherweise ist seine Sorge um die drei Ordensschwestern berechtigt und gut gemeint.
An der Geschichte der drei Ordensfrauen nehmen via Instagram mittlerweile Menschen weltweit Anteil. Was daran so berührt, ist der Kampf der drei um das ihnen vertraglich zustehende Wohnrecht. Es ist aber auch die Frage, ob alte Frauen ihren Lebensabend in selbstgewählten Verhältnissen verbringen dürfen, auch wenn das den jüngeren nicht gefällt. Die Architektin Ulrike Scherzer beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Frage „Wohnen. Im Alter“ und sagt, das ist ein weibliches Thema. Die Geschichten, die sie durch unzählige Gespräche mit alten Frauen gehört hat, haben sie dazu bewogen, ihre früheren Theorien aus der Universität zu relativieren. Sie findet, dass die pragmatischen Lösungen der alten Frauen besser funktionieren als das Leben in barrierefreien neuen Räumen, wo, so ihre Aussage, die Frauen etwas verloren in der Ecke sitzen.“1 Sie setzt sich deshalb für sehr unterschiedliche Wohnformen ein und stellt die auch ihren Studierenden vor. Ihr Ziel ist, dass man über das „Wohnen im Alter“ neu denkt und statt Altenheime, die sich an der Funktionalität von Krankenhäusern orientieren, wohnliche Alternativen baut.
Zurück zu den Ordensfrauen: Die Hilfe, die die drei erfahren, reicht von Unterstützung beim Einkaufen und Hilfe im Haus über Spenden bis zu den Besuchen eines Arztes, der sie und ihre Altersgebrechen betreut. Dieses großzügige Verhalten der Umwelt zeigt, dass es vielfältige Möglichkeiten geben kann. Die Frauen, die ein reiches Arbeitsleben hinter sich haben, erleben, dass sie und ihr Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben auch im Alter wertgeschätzt werden. Und sie tun, was sie gut können: sie organisieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit und beten darüber hinaus für alle, die sie darum bitten oder ihnen helfen. Sie und viele andere alte Frauen zeigen, dass so auch im Winter des Lebens die Sonne scheint.
1Quelle: https://www.bauwelt.de/dl/1267645/Wohnen-im-Alter-Interview-Juliana-Socher_Architektur.pdf; aufgerufen 25.09.2025