Lebenszeichen - Matthias Marx:Andreas Maier und der liebe Gott
„Eine Art von Heimat sehe ich in drei Dingen: dem lieben Gott, meiner Frau und einigen Gastwirtschaften.“ Das ist die Auskunft von Andreas Maier, einem deutschen Schriftsteller. Obwohl sehr heimatverbunden – schließlich spielen fast alle seine Romane im Großraum Frankfurt, woher er stammt – ist er also eher verortet in diesen drei Zonen:
zuerst beim lieben Gott, was auch immer das für ihn ist; dann bei seiner Partnerin, der Würzburger Theologie-Professorin Christine Büchner; dann auch in verschiedenen Gaststätten. Die drei Stufen verraten Verankerung in Gott, in der Liebe zu seiner Frau und einem gewissen Sozialleben – dafür stehen dann die Kneipen.
Maier ist überaus mitteilsam, in seinen vielen Büchern, fast zwanzig sind es schon, aber auch in Vorträgen und Interviews. Neben anderen Romanen erschienen bis 2023 bereits neun der angekündigten elf Bände seiner Reihe „Ortsumgehung“. Leider sind die letzten beiden noch nicht erschienen, sie sollen „Der Teufel“ und „Der liebe Gott“ heißen.
Maiers Romane sind eine besondere Sorte von Heimat-Romanen. Allerdings ganz und gar nicht im landläufigen sentimentalen Sinn. Es sind äußerst detaillierte Berichte über die verzweigte Familie, über das Leben meist im ländlichen Bereich, sogar mal in Tirol, aber auch in Frankfurt.
Ein Kritiker nennt ihn den begabtesten Schwadroneur unter den jüngeren Autoren. Das Schwadronieren meint so etwas wie den Kneipen-Ton in Maiers Heimat, der Wetterau. Selbst einer, den die Wetterau gar nicht interessiere (was allerdings kaum vorstellbar sei), komme nicht umhin, diesem berauschten, halb tief-, halb schwachsinnigen Geschwätz von rund einem Dutzend Wetterauern zuzuhören, wobei ihm binnen Kurzem der Kopf schwirre, weil es vollkommen unklar sei, wer eigentlich was erzähle und wo eigentlich die reale Basis des Erzählten zu finden wäre…
Maier berichtet: „Ein Freund von mir, ein Russe, ist kürzlich in ein orthodoxes Kloster eingetreten und sagte mir, sein Ziel sei es, sich für den Ärmsten und Niedrigsten zu halten. Zugleich bestehe darin die größte Gefahr, denn man könne aus diesem Gefühl einen mächtigen Stolz ziehen. Durch diesen Zwiespalt ehrlich hindurchzukommen, ist das Problem. Ich kann mir nie sicher sein, ob ich jetzt gerade eitel oder wirklich bei der Sache bin. Das finden Sie auch in meinem Buch: Eine Person wirkt eben noch authentisch, hat eine Wahrheit für sich gefunden, und drei Seiten später ist alles ins Groteske verzerrt. Das führt zu monströsen Konsequenzen.“, so Maier.
In einem seiner Romane besucht ein gewisser Julian eine Frau Gerber im Krankenhaus. Er sieht ein Kruzifix an der Wand und hat das Gefühl, Jesus schaue durch ihn hindurch. Andreas Maier erklärt, was dieses Durchschauen für ihn bedeutet:
„Jesus durchschaut meine weltliche Verstrickung. Das, was ich meine zu sein, die Rolle, die ich in der Welt spiele, durchschaut er. Ich bin dann nur noch Geschöpf, ein von sich selbst entblößtes Ich. Das ist die Perspektive von außerhalb der Welt.“
Und genau diese andere Perspektive nimmt Maier ein, wenn er vom lieben Gott spricht – was er liebend gerne tut. Denn nach der für ihn quälenden katholischen Kindheit mitten unter Protestanten, nach einer langen Phase von philosophischer Suche, ziemlich frei von einem Glauben, hat er zumindest das Wort GOTT neu entdeckt.
„Wenn ich von Gott spreche, weiß jeder, dass etwas gemeint ist, das außerhalb von uns liegt. Und wenn ich auf eine Wahrheit stoße, wenn ich plötzlich in einer bestimmten Frage begreife, was richtig ist, habe ich kein Problem damit, mir zu sagen, das hat mir Gott eingegeben. Man mag das für Unsinn halten, für Einbildung, aber andernfalls müsste ich eine hochkomplizierte Erklärung abgeben.“
Maier nennt sich selbst naiv in seiner persönlichen Glaubenshaltung, er will „dem lieben Gott vertrauen, für den man immer schreiben sollte, und nicht für ein Publikum. Man muss in den eigenen Spiegel schauen können und man muss dem Auftrag nachkommen, der vom lieben Gott mitgegeben ist, nämlich: sei aufrichtig, sei wahr, betrüge nicht, auch im Schreiben nicht. Diese beiden Dinge halte ich für das Wichtigste.“
Maier lesen heißt also nicht nur vergnüglich lesen, sondern in die Schule der Aufrichtigkeit gehen. Und selbst etwas von der Heimat wittern, die in der Liebe zu finden ist, aber auch in Gaststätten – und beim lieben Gott.