Zum Inhalt springen

Lebenszeichen - Marliese Klees:"Das große Welttheater"

Diesen Sommer feiert das Welttheater Einsiedeln sein 100jähriges Jubiläum. Im Dorf Einsiedeln herrscht dann Ausnahmezustand, denn fast das gesamte Dorf spielt Theater.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade begiinngen zu wachsen
Datum:
15. Juni 2024
Von:
Marliese Klees

„Das große Welttheater“ - El gran teatro del mundo“ des spanischen Dichters Pedro Calderon,- dieses Theaterstück verbindet Saarwellingen mit dem Dorf Einsiedeln in der Schweiz. Und das kam so: nach dem Krieg war auch die Kirche in Saarwellingen ziemlich zerstört. Um den Wiederaufbau zu finanzieren, ließ der Pfarrer Theater spielen. Er überzeugte die Leute im Ort, dieses imposante barocke Theaterstück vor der Saarwellinger Kirche aufzuführen. Schließlich hatte es auch schon Geld in die Einsiedler Gemeindekasse eingespielt, warum also nicht auch in die Kasse von Saarwellingen. Rund 300 Dorfleute auf und hinter der Bühne spielten mit großem Erfolg für rund 11 000 Menschen das „Große Welttheater“, das sie im darauffolgenden Jahr und 1956 noch mehrfach wiederholten.

Und Einsiedeln? Dort spielt man dieses Stück ebenfalls - seit 1924 und bis heute findet es auf dem Klosterplatz vor der Kirche statt. Ein Student hatte entdeckt, dass dieser Platz wegen Größe, Anlage und Akustik hervorragend für Theater geeignet war. Ein paar Jahre später hatte ein Schauspieler, der in den Schulen der Schweiz - und so auch in der Klosterschule Einsiedeln - zu Lesungen unterwegs war, davon gehört. Beide zusammen, der Kunsthistoriker und der Schauspieler, überzeugten das Kloster und die Menschen im Ort, ein Theaterwagnis einzugehen. Als Stück schlugen sie eben jenes Welttheater des Calderon vor. In nur zwei Monaten stellten sie eine Aufführung auf die Beine, an der das ganze Dorf mitgearbeitet hat. Dabei ist der Stoff alles andere als harmlos: es geht darum, wie der Mensch mit seinem Schicksal umgehen kann, soll, ja muss. Auf der Bühne verhandeln vor den Augen des Publikums, des Schöpfers und des Todes der König und der Bettler, die Schönheit und die Weisheit, der Bauer, das Kind und die Welt, ob man sein Schicksal annehmen muss oder verändern kann. „Der Grundgedanke bei Calderon ist, dass der Herrgott die Rollen verteilt und die `Welt ́ damit beauftragt, die entsprechenden Requisiten zu verteilen. Und dass ein jeder seine Rolle so gut spielen möge, wie er kann. Den Lohn dafür gab es nach Calderon dann im Himmel.“ [1]

Doch nach dem Krieg wird diese Selbstverständlichkeit der Antwort brüchig und mehr und mehr in Frage gestellt. Es dauert - wie bei allen Umbrüchen - zwar relativ lange, aber der Vorstand der Welttheatergesellschaft Einsiedeln entschließt sich doch zu umfassenden Veränderungen: auf der Grundlage des Calderon-Stückes werden zeitgenössische Autoren beauftragt, das Stück neu zu schreiben: zuerst Thomas Hürlimann, der in Einsiedeln zur Schule gegangen ist, dann Tim Krohn und dieses Jahr Lukas Bärfuss. Die festgefügten Antworten lösen sich auf, stattdessen treten Fragen in den Mittelpunkt der Aufführungen. In der Spielzeit 2013 etwa ist es die Frage nach dem Optimierungswahn des menschlichen Körpers. Was passiert, wenn der Mensch sich zum Schöpfer seiner selbst und aller anderen aufspielt.

Die Wende zu den Herausforderungen der Moderne gelingt dem Einsiedler Welttheater gut. Die NZZ z.B. stellt in ihrer Kritik fest, dass der Mensch trotz aller profanen Segnungen dem Schicksal ausgeliefert ist und „nirgendwo sonst als auf dem großen Einsiedler Klosterplatz findet dieses Gefühl einen gültigeren Ausdruck.“[2]

Ob das Spiel der Theaterleute aus Einsiedeln und der Klosterplatz mit der Kirche für den ein oder anderen eine Antwort bereithalten, das muss jede und jeder selbst entscheiden. Das Angebot dazu steht im Raum, auch diesen Sommer, wenn nach 100 Jahren das Einsiedler Welttheater Jubiläum feiert und die Frage nach dem Schicksal des Menschen neu stellt.

SR 1/2/3 - Zwischenruf:Das große Welttheater