Zwischenruf - Dr.in Martina Fries:Die Türmerin

In der letzten Woche habe ich die Türmerin von Bad Wimpfen kennengelernt.
Türmer*in ist ein historischer Beruf. Türmer*innen beobachten von einem hohen Turm aus die Umgebung. Aus der Distanz können sie Angriffe und/oder Feuer früh erkennen und Alarm schlagen. Das war früher noch wichtiger als heute.
Um Dinge besser sehen zu können, braucht es Abstand. Wenn ich auf einem Turm stehe, sehe ich mehr, da weiter. Vieles sehe ich aber auch nicht, da zu weit weg und vor allem: ich bin nicht beteiligt.
Im Leben brauche ich beides: Distanz und Nähe.
Der Theologe Michel de Certeau beschreibt das so:
„Auf die Spitze (…) emporgehoben zu sein, bedeutet, dem mächtigen Zugriff der Stadt entrissen zu werden.“ Doch das Bild, das sich aus der Distanz zeigt, ist nur ein Trugbild, da sich das Leben unten, in den Straßen und Häusern der Stadt abspielt. Und das, was sich da abspielt, das ist nicht umfassend zu erkennen, ist chaotisch, unüberschaubar, ergibt sich im Leben selbst.
Mir erging es genauso. Ich fand es faszinierend auf dem Turm von Bad Wimpfen. Alles zu überblicken. Ganz friedlich und ruhig war es da oben. Doch die Atmosphäre der Stadt habe ich erst gespürt, als ich unten unterwegs war.
Erst die Nähe schafft das Lebendige. Aber von Zeit zu Zeit braucht es auch Distanz.
Möge ihr heutiger Tag beides im richtigen Maß für sie bereithalten.