Zwischenruf - Dr. Christoph Kohl:„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Zu diesem christlichen Hauptgebot hat mir eine Bekannte gesagt: „Wenn das stimmt, dann hat es der Nächste bei mir nicht so gut.“ Hoppla! So war der Impuls Jesu sicherlich nicht gemeint.
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Damit wollte Jesus sagen: „So, wie du natürlich dich selbst liebst, so sollst Du auch deinen Mitmenschen lieben.“ Jesus geht davon aus, dass ich mich selbst mag und es gut mit mir meine – und das ist die Voraussetzung dafür, dass ich es genauso auch mit dem anderen von Herzen gut meine und für ihn da bin.
Und was ist, wenn ich mich selbst nicht mag, wenn ich mich nicht so richtig leiden kann, wenn es mir schwerfällt, mich selbst anzunehmen? Dann trifft das zu, was meine Bekannte sagte: Dann „hat es der Nächste bei mir nicht so gut“ - weil es mir dann auch nicht leichtfällt, den anderen anzunehmen, ja zu lieben. Ohne Selbstliebe fällt die Nächstenliebe schwer und ist wirklich anstrengend. Schade, denn das wirkt sich auf das eigene Lebensglück aus und auf das Zusammenleben.
In seinem Gebot setzt Jesus voraus, dass ein Mensch sich selbst liebt. Denn das ist das große Lebens-Angebot Jesu: dass jede und jeder Einzelne sich selbst immer mehr annehmen kann, wie er ist. Weil Gott von Anfang an ohne Wenn und Aber „Ja!“ zu jedem Menschen sagt, ihn liebt ohne Forderungen oder Bedingungen. Wer das glaubt, wer das spürt, der kann dann auch leichter „Ja!“ zu sich selbst sagen. Das ist offensichtlich eine zentrale Lebensaufgabe: Ja sagen zu können zu mir selbst, zu dem, wie ich bin; zu dem, was aus mir geworden ist, zu meiner Lebensgeschichte, erst recht, wenn ich älter bin.
Und wer mit sich versöhnt ist, sich selbst mag, ja sich liebhat – bei dem haben es dann auch die Mitmenschen gut.