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Lebenszeichen - Michael Kinnen:Ein Licht – auch - für die Namenlosen

Beim Jahresrückblick kommen einem viele Namen in den Sinn – auch solche von Menschen, die man vielleicht gar nicht persönlich kennt. Gut zu wissen, dass auch sie bei Gott nicht vergessen sind.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade begiinngen zu wachsen
Datum:
30. Dez. 2023
Von:
Michael Kinnen

Früher mussten wir als Messdiener in der Kirche zum Jahresschluss immer besonders viel Zeit mitbringen. Nach der Predigt und dem Gottesdienst wie üblich gab es noch eine Andacht in der Kirche: die Jahresschlussandacht. Da wurden auch die Namen von denen vorgelesen, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Auch die Namen der neu Getauften, die der Erstkommunionkinder, die der Ehepaare. Bilanz auch in der Kirchengemeinde; wie es so viele Rückblicke, Bilanzen und Statistiken in diesen Tagen gibt: Diese Jahresschlussandacht in der Kirche war aber mehr als nur Statistik, mehr als Zahlen. Es waren Namen und die dahinter stehenden Lebensgeschichten. Sie wurden namentlich genannt, für sie gebetet und an sie erinnert: Für jeden eine Kerze angezündet.

Auch in den Jahresrückblicken im Fernsehen tauchen jetzt wieder Namen und Gesichter auf, von denen wir manche vielleicht schon fast vergessen hätten: Alleine die Todesfälle aus dem vergangenen Jahr: Elmar Wepper, Hans Meiser, Roger Whittaker, Rosi Mittermaier, Heide Simonis, Sinead O'Connor oder Antje Vollmer – um nur ein paar zu nennen. Und unter den Toten des Jahres waren auch viele nicht so berühmte Menschen, die uns doch - oder vielleicht sogar noch mehr - am Herzen liegen. Ganz persönlich. Weil wir sie kannten und ein Stück Weg mit ihnen gegangen sind. Und sie mit uns. Jedem und jeder wird da ein anderer Name einfallen.

Und Namen wie diese: Paul Vincent Castelvi, Grace Prodigo Cabrera, Angelyn Peralta Aguirre. Ich kannte sie nicht, aber ich lese ihre Namen: und dass sie von der Hamas ermordet worden sind bei den Terrorübergriffen am 7. Oktober in Israel. Lisa Al-Souri, Sanaa Al-Amash, Suleiman Tarazi – Namen von denen, die ein paar Tage später bei israelischen Luftangriffen in Gaza ums Leben gekommen sind. Es gibt noch so viele weitere Namen. Zigtausende. Auch die der Geiseln der Hamas-Terroristen auf den Plakaten, die ich immer wieder sehe. Und die Namen der Getöteten in der Ukraine. Die Namen von denen, die überlebt haben, die geflohen sind vor dem Krieg; die Namen derer, die zurückbleiben. Die Namen derer, die nicht in den Nachrichten auftauchen. Für die allermeisten von uns bleiben sie namenlos: Menschen, die auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind, die bei Unglücken, Naturkatastrophen, Unfällen und Terroranschlägen ums Leben gekommen sind im vergangenen Jahr; die gestorben sind in den vielen Kriegen auf der Welt. Auch die scheinbar Vergessenen. So viele.

Für die Welt waren und sind sie vielleicht nur ein „Jemand“, oft nur eine zusammenfassende Zahl: der Getöteten, der Geflüchteten, der Aufgegriffenen in den Schiffen im Mittelmeer; die, die in Unterkünften registriert wurden; Zahlen, mit denen die Politik so gerne hantiert, um Forderungen zu stellen. Letztlich anonyme Massen. Und doch steht hinter jeder Zahl ein Mensch. Ein Name, eine Lebensgeschichte. Ein Schicksal. Eine Hoffnung. Für die Welt sind sie vielleicht nur ein “Jemand”, aber für „jemand“ haben sie hoffentlich ganz persönlich die Welt bedeutet…

Ich fand das eine schöne Tradition damals, für all die Bekannten, an die erinnert werden soll, eine Kerze im Gottesdienst anzuzünden. Sie beim Namen zu nennen. Und ich finde es ein schönes Zeichen, das ich heute auch selbst setzen kann, auch ohne Gottesdiensttradition. Eine Kerze, ein Licht anzuzünden für die Bekannten, an die ich mich am Ende dieses Jahres erinnere. Aber auch eine Kerze für die Namenlosen. Und ein Gebet – in der Hoffnung und Gewissheit, dass sie alle auch für Gott weit mehr als nur ein „Jemand“ sind; dass sie die Welt auf ihre Weise mit ihrem Leben vielleicht ein bisschen heller gemacht haben. Bei Gott sind sie nicht vergessen.

SR 2 Lebenszeichen:Ein Licht – auch - für die Namenlosen