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Lebenszeichen - Matthias Marx:Erinnerungen an Heidi und Heinz Keller

Heidi und Heinz Keller sind Geschwister, von denen ursprünglich niemand gedacht hätte, dass aus den beiden große Schweizer Künstler werden würden.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade begiinngen zu wachsen
Datum:
9. Nov. 2024
Von:
Matthias Marx

Es geht so schnell, dass ein Mensch vergessen wird… Ich bin auf Erinnerungen gestoßen, die ein Geschwisterpaar betreffen, Heidi und Heinz Keller, aus der Schweiz. Beide sind auf einem Bauernhof aufgewachsen, in Wülfingen, vor hundert Jahren. Dieser Hof gehörte zu einer Heil- und Pflegeanstalt. Hier wuchsen sie auf, weil der Vater dort Bauer war. Sie lebten aber etwas isoliert, weil sich andere Kinder nicht zum Hof wagten, um mit ihnen zu spielen. Die anderen Bewohner der Heil- und Pflegeanstalt machten den Kindern nämlich Angst. 
Beide Geschwister fanden dort auf dem Hof viele phantasievolle Anregungen und es zeigten sich früh ihre Talente: Heinz malte mit Hingabe, Heidi liebte Literatur und vor allem poetische Texte. 
Niemand hätte damals geahnt, dass aus den beiden große Schweizer Künstler werden würden – er ein Meister im Holzschnitt, sie eine selbstbewusste Dichterin, die mit Hermann Hesse Briefe austauschte.
Gerne wäre Heidi Kinderärztin geworden, das klappte aber nicht, und sie wurde Erzieherin im Kindergarten. In ihren Kindergarten kamen viele italienische Kinder – und Heidi machte wie selbstverständlich einen Sprachkurs in Perugia, wegen der Kinder. Da war sie vierzig Jahre alt und schrieb die ersten Zyklen von Naturgedichten. Nebenbei schrieb sie auch Kritiken über Kinder- und Jugendbücher. 
Sie schreibt über den Herbst:
„Ich verstehe / die Stimme im Wind / die nächtelange: / Wohin / stürzt der Vogel / im Dunkel, / der auf bunten Flügeln / den Sommer trug?
Ich sah / die Apfelröte im Baum / und die Träume / in den Nussschalen / am Weg. / Ich verstehe / die Stimme im Wind: / Einmal / entblättern die Bilder“.
Heidi Keller behauptet nicht einfach nur, zu verstehen, sie ist seit Kindertagen voller Verständnis für jedes Lebewesen. Was für ein Geschenk, mit der Natur mitzuschwingen – nicht sentimental, sondern mit einem lebenslangen Einverständnis. 
Ihre Gedichte erscheinen, von den 70ern bis in die 90er Jahre, in elf Bänden, immer begleitet von Holzschnitten ihre Bruders Heinz. Ihm gelingt es, die klare Sprache seiner Schwester mit ebenso klaren Schwarz-Weiß-Bildern zu konfrontieren, zu ergänzen. 
Heidi Keller schreibt über das „Novemberdunkel“: „Ein Fenster gegen Abend, / Novemberdunkel, / in Sack und Asche / geht der Tag. / Tief ziehen Vögel / auf der Winterflucht / mit schwarzen Flügelschlägen. / Aus ihrer Flugbahn / fällt die Trauer / in den Abend, / füllt das Fenster aus. / In einem Glas mit Wasser / lächelt faltig / das Gesicht / der Sommerrose.“
Im Leben von Heidi Keller ging es später ziemlich turbulent zu: nach dreißig Jahren im Kindergarten versuchte sie es im Buchhandel – erfolglos – ließ sich als Erziehungsberaterin ausbilden, gleichzeitig zur Rot-Kreuz-Schwester. Sie nannte diesen Lebensabschnitt „Zeit der Wandlungen“. Sie sagt: „Meine Betroffenheit über die Begegnungen mit Menschen und in der Natur ist mir ebenso oft Anlass zum Schreiben, wie die Verwandlung, welche fortwährend in uns und um uns herum geschieht.“
Im Alter von fünfzig Jahren heiratet sie einen evangelischen Pfarrer und zieht mit ihm ins Wehntal. Nur war dort außer der Freude am Orgelspiel alles düster für sie, ein belastender Ort. Fünf Jahre später ging ihr Mann in Pension und die beiden zogen nach Wülfingen, in ihren Heimatort. Dort ist sie vor zehn Jahren gestorben.
Aus ihren letzten Lebensjahren gibt es das Gedicht: „Auf dem Weg“:
„Gott, / seit ich auf dem Weg bin / zu Dir / verirren sich wieder und wieder / die Füße im Bodenlosen / hängen sie jäh / im luftleeren Raum / dass mir schwindelt. / Und Deine Antwort im Schweigen. / Seit ich unterwegs bin / unter dem Spiel der Wolken / mit der Last aus Regen und Schnee / mit den jagenden Schwalben / den Mauerseglern –  / trösten die Worte: / ‚Morgen‘ oder ‚später vielleicht‘ / antwortest du mir. / Ich weiß ich müsste / die Mauer deines Gartens / niedersingen oder das Schlüsselwort / endlich finden / zum Tor.“

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