Zwischenruf - Martin Wolf:Grün (hat) Kraft
Ich mags grün. Auch wenn so Mancher allein beim Wort „grün“ ja schon rot sieht. Ich steh trotzdem drauf. Besonders jetzt, wo der Frühling immer deutlicher zu spüren ist. Wo an den Bäumen hinterm Haus überall die ersten zarten Blätter zu sehen sind. Und wo auch in der Natur jetzt Grün „freie Fahrt“ bedeutet. Freie Fahrt fürs Leben.
Dafür gibt’s sogar ein Wort: Grünkraft. Es stammt von Hildegard von Bingen. Für mich eine der stärksten Frauen des Mittelalters. Hildegard war Ordensfrau, aber auch Gelehrte, Politikerin, Mystikerin. Und sie hat ziemlich genau gewusst, was uns guttut. Das war schon damals gar nicht so viel anders als heute. Diese Grünkraft, von der sie spricht, meint nämlich viel mehr als grüne Blätter. Es ist all das, was mich antreibt, mir Kraft gibt, mich leben lässt. Und ich merke ja selbst, wie ich schon nach kurzer Zeit unzufrieden und mies gelaunt bin, wenn ich tagelang nur im Haus hocke. Nicht raus komme in die Natur. Keine Menschen treffe. Hildegard empfiehlt deshalb auch, bewusst raus zu gehen, in die Schöpfung, die mich umgibt. Immer dann, wenn ich merke, dass meine inneren Akkus schwächer werden. Meine Energie langsam zur Neige geht.
Für sie war das aber viel mehr als irgendeine Naturromantik. Für sie hing alles mit allem zusammen. Wir Menschen, die Schöpfung, die uns umgibt, und Gott, der mit seiner Kraft alles durchdringt. Für mich als Christ ergibt das durchaus Sinn. Aber auch, wenn ich das nicht glauben kann, bleibt es trotzdem einen Versuch wert. Das mit der Grünkraft. Gerade jetzt, draußen, in der Natur.