Lebenszeichen - Luisa Maurer:Gutes auf den Kopf zusagen
Wozu bin ich gut? Manchmal frage ich mich das und suche in meinem Leben nach möglichen Antworten...
Vor kurzem besuche ich einen guten Freund im Krankenhaus. Ich betrete sein Zimmer, setze mich an sein Bett und rede mit ihm. Mein Freund hat einen Mitbewohner auf seinem Zimmer. Der kann nicht gut aufstehen und sich nicht gut bewegen. Wenn er etwas braucht, klingelt er nach einer Pflegekraft.
Nach einer Weile verabschiede ich mich von meinem Freund. Seinem Mitbewohner nicke ich zu. “Kann ich Ihnen grade noch was bringen oder geben?”, frage ich. Ich denke an ein Glas Wasser, sein Handyladekabel oder ähnliches. Dafür muss sonst extra ein Pfleger kommen... “Ja”, sagt der Patient, “einen Segen, vielleicht.” Hoppla, jetzt bin ich überrascht... “Wissen Sie,”, erzählt der Mann mir weiter, “sicher verstehen Sie das, ich habe einfach Angst. Angst vor meiner Diagnose.” Ich nicke und erwidere ihm: “Ein Segen kann da sicher nicht schaden, stimmt`s?” “Ja,”, sagt er, “das wäre schön.” Ich gehe zu seinem Bett, zeichne mit meinem Finger ein Kreuz auf seine Stirn und sage ihm: “Gott segne und beschütze dich”. Der Mann lächelt mich an und bedankt sich.
Und ich denke: Dazu, genau dazu, bin ich da. Dazu bin ich gut, an diesem Nachmittag im Krankenhaus. Um diesen Mann zu segnen.
Er ist übrigens aus der Kirche ausgetreten, erfahre ich später. Spielt das beim Segnen eine Rolle? Wohl kaum! Auch dass ich Theologin bin – das hat er wohl beim Gespräch mitbekommen - spielt keine Rolle. Segnen kann jede und jeder.
Segnen – dieses Wort heißt im Lateinischen benedicere. Wörtlich übersetzt meint es: Gutes sagen.
Ich kann diesen Mann nicht heilen oder seine Diagnose beeinflussen. Auch kann ich ihm nicht seine Angst nehmen. Segnen ist nichts Magisches. Aber ich kann ihm Gutes Sagen, etwas Gutes wünschen. Nicht mehr und nicht weniger wünscht sich der Mann von mir an diesem Nachmittag ganz unverhofft. Gutes sagen – dafür bin ich gut!
Wozu bin ich gut?
Die Frage stelle ich mir auch bei den großen Problemen. Ich stelle sie mir, wenn ich mitbekomme, dass auf dieser Welt grauenhafte Kriege gekämpft werden. Wenn ich mir die Klimakrise anschaue und die Zukunftsängste vieler junger Menschen anhöre. Wenn ich meine Freundin besuche, die an Depressionen erkrankt ist.
Manchmal scheinen mich die dunklen Momente zu erdrücken. Krieg, Zukunftsangst, Krankheit.
Natürlich sollten wir alles Menschenmögliche versuchen, um gegen Krieg, Klimakrise und Krankheit anzugehen. Doch mitten in den großen Katastrophen der Welt sind es die kleinen Gesten, die hoffen lassen. Die bringen Licht in die dunkle Zeit. Gutes auf den Kopf zuzusagen. Das ist nur ein Beispiel, wie ein Mensch für einen anderen zum Segen werden kann.
Ich nehme diese Erfahrung mit in den Advent. In die dunkle Jahreszeit. Daran möchte ich mich gerne erinnern, dass ich dazu gut bin. Um zu segnen. Ich muss dazu ja nicht gleich jedem ein Kreuz auf die Stirn zeichnen. Aber meinem Gegenüber Gutes zu sagen oder zumindest Gutes zu wünschen. Das ist wirklich ein Segen.
Die Begegnung mit dem Mann im Krankenhaus berührt mich immer noch. Weil sie mir zeigt, wozu ich als Mensch gut bin – vielleicht gerade in der dunklen Jahreszeit. Um zu segnen, um anderen Gutes zu sagen. Der Mann hat mir übrigens selbst etwas Gutes getan. Er hat mich gesegnet. Indem er mich um den Segen gebeten hat und mir so gezeigt hat, wozu ich gut bin.