Zwischenruf - Christian Heinz:Jedes Jahr aufs Neue lernen

Zum bereits fünften Mal habe ich es getan. Ich war in Fresagrandinaria, der italienischen Partnergemeinde Püttlingens in den Abruzzen fast 60 Kilometer zu Fuß an einem Tag pilgern. Wahrhaftig eine Grenzerfahrung: Frühmorgens ging es los und bis zum späten Abend: Gehen, gehen, gehen. Ab und zu immer wieder kleine Pausen, zum Trinken, Essen und Beten.
Lorenzo aus Fresagrandinaria erzählt mir, dass er schon über 40 mal die Fußwallfahrt zur Madonna Grande gemacht hat. Man könnte meinen, man kennt den Weg, die Strapazen und stumpft ab. Aber, so Lorenzo, kein Jahr gleicht dem andern und keine Pilgerwanderung der anderen. Jedes Jahr hat seine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Recht hat er. Ich mit meiner überschaubaren Pilgererfahrung kann das nur bestätigen: Mal fallen einem die Anstiege leichter, mal weniger. Mal verträgt man die Hitze besser, mal weniger. Mal drückt der Schuh, mal ist es die Herausforderung einige der über 100 Mitpilgerinnen und Mitpilger, mit denen man unterwegs ist, auszuhalten. Und noch eine Herausforderung ist jedes Jahr neu: Ich selbst. Denn ich bin nicht jedes Jahr derselbe, der da pilgert. Ich habe mein Päcklein zu tragen, das jedes Jahr anders ist. Das, was ich so an Positivem wie Negativem im Gepäck habe von Jahr zu Jahr, es will getragen und manches Mal ertragen werden.
Wie gut, dass am Beginn des langen Pilgerweges immer das Kreuz vorangeht. Es wird peinlich darauf geachtet, dass niemand an ihm vorbeizieht. „Hinter ihm her“ mit meinem Kreuz, meinen täglichen Lebenserfahrungen, das ist vielleicht das Geheimnis dieser Pilgerwanderung und vielleicht auch der Pilgerreise, die mein Leben heißt. Die gilt es zu wagen – Jahr für Jahr, Tag für Tag, immer neu.