Zwischenruf - Christian Schöneberger:Loriot, die Taufe – Spurensuche
Ich bin bisher noch nie einem Knollennasenmännchen von Loriot lebensgroß in einer Kirche begegnet. In der St. Gotthardkirche in Brandenburg komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. In der Taufkapelle dieser mittelalterlichen Kirche steht eines. Victor von Bülow, den wir wohl besser als Loriot kennen, wurde 1923 hier getauft! An einem kalten Dezembersonntag wird er – mit einem anderen Täufling zusammen – pikanterweise einem Mädchen – getauft. Und weil der Pfarrer wohl noch nicht mit seinen Vorbereitungen zur Taufe fertig war, als Familie von Bülow kommt, müssen die Eltern mit ihrem Säugling warten. Genauso wie die Familie des zu taufenden Mädchens. Die sind aber mit einem schönen Kinderwagen gekommen, in dem das Mädchen warm und geborgen liegt. Die Eltern von Loriot haben ihren Säugling, weil mit der Straßenbahn angereist, auf ihrem Arm. Bis zur Taufe dauert es wohl noch ein wenig. Die Eltern des Mädchens bieten an, doch den Säugling Victor in die Wärme des Kinderwagens zu ihrem Mädchen dazu zulegen. Für den Humoristen Anlass genug viel später als Erwachsener darüber zu schreiben und ironisch zu kommentieren, dass er die Chance, seine erste Liebe, wohl nicht erkannt hat! „Ich missachtete die Gunst der Stunde!“ schreibt er. Ich schmunzele über diese nette Geschichte. Beeindruckt bin ich aber darüber, dass 60 Jahre nach seiner Taufe Victor von Bülow auf Spurensuche geht. Er begegnet dort – unter dem Dach dieser Kirche – Menschen, mit denen er sonst nicht zusammengetroffen wäre und erinnert sich voller Dankbarkeit. Dafür stehen noch heute seine Karikaturen in dieser Kirche!
Mich hat diese Begegnung nachdenklich gemacht: warum gehe ich nicht auch auf Spurensuche. Ich kann zwar keine so humorvolle Geschichte beisteuern wie Loriot, aber den Ort meiner Taufe kenne ich. Und spannend ist es bestimmt, meine eigenen Wurzeln zu suchen und wieder zu entdecken!