Zwischenruf - Matthias Marx:Nachschlüssel
Ein Nachschlüssel – der dient zum Aufschließen, wenn man die Tür nicht mehr aufbekommt. Aber wenn er reden könnte, würde er vielleicht sagen, wie es in einem kleinen Gedicht heißt:
„Ich drehe mich lautlos im Schloss,
und höre das Flüstern der Einbrecher.
Was kann ich dazu, dass es Nacht ist?
Ich möchte den ab-geschlossenen Sinn und Verstand,
das Wesen der Dinge und Menschen öffnen.
Und will, dass sich Räume vor ihnen auftun und in ihnen.
Und mitten in diesen Räumen bist DU.“
So dichtet vor vierzig Jahren Pater Stephan Senge, letzter Mönch des Klosters Himmerod. Im März wird er neunzig.
Ein Leben lang hat er Notizen gemacht, karge Gedichte, wie es der Journalist Roland Schulz beschreibt, der ihn besucht hat. Eigensinnige Werke, die Wörter und Silben umstülpten – MUTANFÄLLE, so taufte er sie einmal.
Als ich das gelesen habe, kam ich gehörig ins Nachdenken. Ja, Mut-Anfälle wären überhaupt sehr hilfreich. Besser als Wut – obwohl die manchmal wirklich verständlich ist. Aber ein Mut, der blitzartig auftaucht, der mich anfällt – das wäre ein Vorgang, der überraschend, ungeplant zeigt, was in mir steckt.
Nämlich den Kampf aufzunehmen mit der Dummheit und der Trägheit. Das Risiko eingehen, mir den Mund zu verbrennen, wenn es um einen Menschen geht, wenn die Gerechtigkeit bedroht ist. Also wenn ich mich traue etwas zu tun, wovor ich normalerweise Angst habe. Wenn ich anderen Mut mache.
Und das kann auch passieren wie im kleinen Text vom Nachschlüssel: ein Türöffner sein, Versperrtes befreien, Räume öffnen. Auch für Gott.