Zwischenruf - Martina Fries:Schnelle Antworten
Krieg oder Frieden, Aufstieg oder Abstieg, Sicherheit oder Freiheit. Einfache Antworten sind wieder voll im Trend. Das zeigen auch die Wahlergebnisse der letzten Zeit. Es bekommen die immer mehr Stimmen, die die einfachen Antworten behaupten. Die die Komplexität der Gegenwart reduzieren.
Das ist verlockend. Und es wäre schön einfach, wenn die Realität so funktionieren würde.
Zum Glück funktioniert sie aber nicht so. Denn wo es nur zwei Alternativen gibt, gibt es immer nur das eine oder das andere. Und eines davon ist richtig und das andere falsch.
Dass die Realität so einfach nicht ist, sieht man in der Natur. Oder bei den Farben. Da gibt es nicht nur zwei, sondern drei Grundfarben und in deren Kombination eine unendliche Vielfalt.
Wer diese Realität leugnet, kann also gar keine Antworten auf ihre Herausforderun-gen geben.
Und noch etwas. Das Leben besteht ja nicht nur aus Antworten. Wie oft habe ich keine. Oder keine befriedigenden. Und muss die Fragen aushalten. Mir hilft beim Aushalten immer wieder ein Text von Rainer Maria Rilke. Er schreibt:
„Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben, wie verschlossene Stuben, und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.“
Die Fragen lieb zu haben bedeutet, die Realität ernst zu nehmen.
Wer schnelle Antworten will, der geht an der Realität vorbei. Der findet nicht nur keine Antworten auf ihre Herausforderungen, sondern übersieht auch ihre schöne Buntheit.