Zwischenruf - Matthias Scheer:Unrecht weckt Wut oder Mut
Unrecht hat wahrscheinlich jeder im Leben schon mal erfahren. Ich war acht Jahre alt und in meinem allerersten Zeltlager. Nach dem Abendessen hat meine Gruppe Küchendienst und während ich die Teller spüle, werde ich von einem Betreuer gerufen. Komm mal bitte mit, sagt er und schon sitze ich am Tisch der Chefbetreuerin. „Mir wurde erzählt, dass Du Kaulquappen mit Steinen zerquetscht und getötet hast“, klagt sie mich an. Ich bin verwundert: „Wer erzählt denn so etwas? Das stimmt nicht, ich habe keiner Kaulquappe etwas getan.“ Doch mir wird nicht geglaubt, ein Mädchen aus der anderen Gruppe hätte mich dabei beobachtet. Ich werde bestraft: Während der Schnitzeljagd muss ich im Zelt bleiben und krieg auch keine Süßigkeiten aus der Schatzkiste.
Ich weiß nicht, was das Mädchen angeblich beobachtet hat, aber ich habe keine Chance. Ihr wird geglaubt, mir nicht. Im Zelt angekommen, verstecke ich mich in meinem Schlafsack und versteh die Welt nicht mehr. Das ist unfair und ungerecht.
An diese und andere ähnliche Geschichten aus meinen Kindertagen erinnere ich mich, wenn ich das Unrecht in der Welt sehe. Und es erschreckt mich, dass das Recht des Stärkeren wieder auf dem Vormarsch zu sein scheint. War das nicht überwunden? Gilt nicht: Gleiches Recht für alle?
„Es gilt das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts zu ersetzen“, so formulierte es einer meiner Professoren.
Erlebtes Unrecht überwinden wir nicht durch größeres Unrecht, sondern durch Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Frieden. Unrecht braucht Mut statt Wut.